I´m Only Sleeping (Auszug) | zu Revolver (1966)

 

In obskuren Lebenslagen befragen viele ihr Horoskop, Experten oder auch andere Menschen. Olga zieht es vor zu googlen. Getroffen von der plötzlichen Einsicht, zu viel ihrer Zeit im Bett zu verbringen, hat sie die Begriffe Schlafen und Kritik eingegeben. Unter der Masse an Treffern findet sich ein Ausspruch von George Bernard Shaw: Schlafen ist eine Form von Kritik, vor allem im Theater. Dieses Zitat zaubert ein sattes Lächeln in ihr Gesicht, und in ihr Ohr die betörend kraftlosen Zeilen: Keeping an eye on the world going by my window / taking my time. Der Autor dieses Liedes, so meint sie zu wissen,   lebte zum Zeitpunkt der Niederschrift in einem mondänen Anwesen im Speckgürtel Londons. Ein Blick aus seinem Schlafzimmerfenster muss in der Tat zum Gähnen gewesen sein, und die Welt, die dort angeblich vorbeizog, im eher metaphorischen Sinne gemeint. Vielleicht ist die Rede von Blauen Pfauen, die gravitätisch die Rhododendren abschreiten, oder von norwegischen Waldkatzen, die hungrig ums Haus stromern, weil ihr Besitzer zu träge ist, ihnen die Tür, geschweige denn eine Dose zu öffnen. Diese Szenerie vermag sich Olga nur in Schwarz-Weiß vorzustellen.   Schaut sie an diesen Mittagen aus ihrem Schlafzimmerfenster, erblickt sie Bauarbeiter, die dem Haus gegenüber eine neue Fassade verleihen. Der Anblick anderer, die bereits seit Stunden arbeiten, lässt sie erste Überlegungen zum Frühstück anstellen. Es wird eine Kanne schwarzen Tee, vier bis sechs selbst gedrehte Zigaretten und drei Kreuzworträtsel geben. Nebenbei wird sie Radio hören, nicht mehr taufrische Meldungen im viertelstündlichen Turnus, deren Bedeutung sie spätestens nach der dritten Wiederholung voll und ganz zu erfassen glauben wird.

 

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